Rede von Stadtrat Konrad Zaiß
Fraktionsvorsitzender
Freie Wähler Gemeinderatsfraktion Stuttgart anlässlich der Generaldebatte Klimaschutz im Gemeinderat der
Landeshauptstadt Stuttgart 20. Januar 2022
- es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geehrten Damen und Herren!
Wir beschäftigen uns heute mit der durchaus schwierigen Frage, wann, wie und unter welchen Bedingungen wir die Klimaneutralität in der Landeshauptstadt Stuttgart mit ihren rund 600.000 Einwohnern erreichen können. Für uns Freie Wähler gilt hierbei der Grundsatz: Je früher, desto besser. Aber es muss machbar sein, und wir müssen die Bürger mitnehmen.
Die Gemeinderatsdrucksache 25/2022, die der Oberbürgermeister vorgelegt hat, umreißt, was wir in den vergangenen Jahren erreicht haben und was in den nächsten Monaten getan werden kann und getan werden muss, um die nächsten Schritte in Richtung Klimaneutralität zu gehen. Der Sinn des heutigen Beschlusses ist, bis zur Sommerpause Klarheit darüber zu erlangen, mit welchen Maßnahmen die Klimaneutralität für Stuttgart bis zum Jahr 2035 erreicht werden kann. Dazu soll ein Klimafahrplan ausgearbeitet und aufgestellt werden, auf dessen Grundlage die finale Entscheidung über das Klimaneutralitätsziel für Stuttgart getroffen werden soll.
Dem Beschlussantrag der Gemeinderatsdrucksache können wir Freie Wähler ohne Schwierigkeiten zustimmen. Wir sind uns dabei im Klaren darüber, dass Klimaneutralität nicht von heute auf morgen zu erreichen ist und ihr Gelingen – wie in der Vorlage des Oberbürgermeisters richtig dargestellt – auch von Faktoren abhängig ist, auf die die Stadt keinen oder nur geringen Einfluss hat.
Deshalb möchte ich in meiner Rede anhand von einigen Beispielen aufzeigen, welche Maßnahmen wir für richtig halten, wo wir Freie Wähler große Herausforderungen sehen und wo die Stadt aus unserer Sicht besser werden kann.
Richtig war sicher, das 200 Millionen Euro schwere Klimapaket für Stuttgart zu beschließen und Gelder für Energieeinsparmaßnahmen, für den Auf- und Ausbau erneuerbarer Energien und für Maßnahmen zur Klimafolgenanpassung bereitzustellen. Problematisch ist allerdings, dass bisher nur wenig Geld aus dem Klimaschutzfonds abgeflossen ist. Hier müssen wir besser werden und schneller in die Umsetzung kommen.
Gut sind natürlich auch die Förderprogramme, die die Stadt anbietet. Sie schaffen Anreize und helfen in einem gewissen Umfang dabei, die Bürger für die Themen Energiewende und Klimaschutz zu gewinnen und zu aktivieren. Zu einem Selbstläufer wird die Erreichung der Klimaneutralität dadurch aber noch lange nicht.
Aus unserer Sicht wird es deshalb weiterhin darum gehen, die Bürger dazu zu bewegen, auf freiwilliger Basis dabei mitzuwirken, die Klimaneutralität in Stuttgart zu erreichen. Es liegt an uns als Gemeinderat und an der Verwaltung, die Bürger davon zu überzeugen, dass die zu beschließenden Maßnahmen für die Stadtbevölkerung Vorteile bringen. Aber welche greifbaren Vorteile können wir denn aufzeigen?
Aus unserer Sicht wird es deshalb weiterhin darum gehen, die Bürger dazu zu bewegen, auf freiwilliger Basis dabei mitzuwirken, die Klimaneutralität in Stuttgart zu erreichen. Es liegt an uns als Gemeinderat und an der Verwaltung, die Bürger davon zu überzeugen, dass die zu beschließenden Maßnahmen für die Stadtbevölkerung Vorteile bringen. Aber welche greifbaren Vorteile können wir denn aufzeigen?
In den Energiespartipps der Stadtwerke Stuttgart wird analysiert, dass Informationstechnik, TV und Audio 28 Prozent des Stromverbrauchs im Privathaushalt ausmachen. Ja, glauben Sie denn, meine Damen und Herren, dass Handys, Fernseher und Informationstechnik künftig weniger genutzt werden, dass die weiter fortschreitende Digitalisierung ohne höheren Energieverbrauch umgesetzt werden kann? Glauben Sie, dass wir mit kleineren Wohnungen und anderem Urlaubsverhalten die Bevölkerung für die Klimaneutralität begeistern werden?
Uns Freien Wählern ist klar, dass das Erreichen der Klimaneutralität viel Geld kosten und mit einem Verzicht an Komfort einhergehen wird. Schon allein diese Botschaft an den Mann oder die Frau zu bringen, wird eine riesige Aufgabe sein. Nur zur Größenordnung: Jeder, aber auch jeder einzelne Gemeinderat muss 10.000 Mitbürger von den angedachten Maßnahmen überzeugen.
Wenn ich dabei an die jetzige Corona-Pandemie denke, und daran, wie sich unsere Gesellschaft selbst in dieser Gesundheitsfrage spaltet, will ich mir nicht ausmalen, wie es bei Einschränkungen auf freiwilliger Basis sein wird und welchen Widerstand Zwangsmaßnahmen hervorrufen würden.
Kinder und Jugendliche, die sich ohne Sorgen und Geldnöte, mit Handy und Tablet ausgestattet, einen freien Schultag erkämpfen und bei Fridays for Future auf die Straße gehen, bilden sicher nicht die Stimmung in der Gesamtbevölkerung ab, wenn die sich bei allen möglichen Dingen einschränken soll.
Deshalb: Wer hier im Gemeinderat besonders radikale Maßnahmen und Einschnitte fordert, der muss auch so ehrlich sein und deutlich sagen, dass es dabei dann um Verbote und um verordneten Verzicht geht, und nicht mehr um Freiwilligkeit.
Die Maßnahmen, die wir ergreifen, müssen auf jeden Fall sozial gerecht sein. Wenn wir die Menschen überfordern oder mit Verboten überziehen, wird es nichts werden!
Und wir müssen an dieser Stelle auch bedenken, dass nicht jeder, der ein Haus sein Eigen nennt, auch das Geld hat oder einen Kredit bekommt, um es energetisch auf den neuesten Stand zu bringen.
Der gute Wille in der Bevölkerung ist aus unserer Sicht also ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Klimaneutralität. Es sind aber noch viele weitere Bausteine erforderlich, um das Ziel zu erreichen.
Seit 1990 haben wir in 30 Jahren 40 Prozent CO2-Einsparung erreicht. Das ist ein Ergebnis, das sich bis 2035 in der Zeit halbieren und in der Ausführung verdoppeln muss.
Zwingend erforderlich wird deshalb sein,
Einer der wichtigsten Faktoren für das Gelingen wird nach unserer Überzeugung aber sein, genügend Fachkräfte für die Erreichung unserer Ziele zu finden. Wir stellen uns die Frage, wo die vielen Ingenieure und qualifizierten Handwerker herkommen sollen, die wir so dringend für die praktische Umsetzung bei Energiewende und Klimaschutz brauchen.
Ohne gut ausgebildete Handwerker, die Fotovoltaik- und Solar-Anlagen auf die Dächer bringen, Fassaden und Dächer dämmen, Wärmepumpen und energiesparende Heizungsanlagen installieren, Geothermiesonden in den Boden einbringen und anderes mehr, wird es nicht gehen! Diesem Flaschenhals bei der Umsetzung müssen wir uns bewusst sein.
Hinzu kommt, dass sich selbst die Stadt oft bei der Umsetzung von Projekten schwertut, weil zum Beispiel der Denkmalschutz, die Statik von Gebäuden oder andere Rahmenbedingungen wünschenswerten Maßnahmen entgegenstehen.
Wenn wir dann auch noch sehen, dass die Stadt auf den Großteil der Gebäude in der Stadt gar keinen Einfluss hat, weil sie ihr nicht gehören, dann können unsere hochgesteckten Ziele schnell in weite Ferne rücken.
Eine wichtige Aufgabe wird deshalb sein, dass wir uns nicht im Klein-Klein verlieren, sondern zuerst die großen Stellhebel anpacken, die am meisten CO2-Einsparung versprechen. Das Geld muss vor allem dort eingesetzt werden, wo jeder einzelne Euro, den wir ausgeben, größtmögliche Effizienz bringt. Das heißt nicht, dass wir nicht auch kleine Maßnahmen umsetzen sollen, aber wir müssen Prioritäten setzen. Wir hoffen und gehen davon aus, dass der Klimafahrplan in diesem Punkt für Klarheit sorgen wird.
Die Stadt wird an der einen oder anderen Stelle auch in Vorleistung gehen müssen. Als Beispiel will ich den Aufbau von Nahwärmenetzen nennen. Es reicht aus unserer Sicht nicht, die Immobilieneigentümer in einem bestehenden Wohn- oder Gewerbegebiet danach zu fragen, ob sie Interesse daran haben, sich an ein mögliches Nahwärmenetz anzuschließen. Es reicht nicht, einfach abzuwarten, ob genügend Interessenten zusammenkommen, damit sich das Projekt wirtschaftlich darstellen lässt.
Ein solches Vorhaben wird nur dann gelingen, wenn die Stadt, die Stadtwerke oder ein anderer Energieversorger ein konkretes Angebot machen kann und es den Immobilieneigentümern einfach gemacht wird, sich an ein Nahwärmenetz anzuschließen.
Von großer Bedeutung ist aus unserer Sicht zudem, dass die Stadt mit allen Akteuren, die zum Gelingen von Energiewende und Klimaschutz beitragen können, gut zusammenarbeitet. Was wir nicht verstehen, ist die im Gemeinderat leider weit verbreitete, ablehnende Haltung gegenüber der EnBW.
Wir sind der Meinung, dass die EnBW viel mehr in die Vorhaben der Stadt einbezogen werden muss. Denn bei aller Anstrengung werden es unsere eigenen, noch jungen Stadtwerke wohl kaum schaffen, die Energiewende – insbesondere die Wärmewende und den Aufbau von Nahwärmenetzen –im Alleingang und in kürzester Zeit zu stemmen. Da ist mehr Power gefragt.
Die EnBW befindet sich zu nahezu 100 Prozent in öffentlichem Eigentum. Sie ist seit vielen Jahrzehnten ein erfolgreicher Netzbetreiber, Energieproduzent, -anbieter und -lieferant. Die Versorgungssicherheit ist sehr hoch, das Knowhow ist vorhanden. Warum also sollen wir auf die Expertise und die Kraft dieses Unternehmens verzichten? Warum beenden wir nicht endlich alte Streitigkeiten, um neues Vertrauen aufzubauen und gemeinsam an einem Strang zu ziehen, liebe Kolleginnen und Kollegen?
Die EnBW befindet sich zu nahezu 100 Prozent in öffentlichem Eigentum. Sie ist seit vielen Jahrzehnten ein erfolgreicher Netzbetreiber, Energieproduzent, -anbieter und -lieferant. Die Versorgungssicherheit ist sehr hoch, das Knowhow ist vorhanden. Warum also sollen wir auf die Expertise und die Kraft dieses Unternehmens verzichten? Warum beenden wir nicht endlich alte Streitigkeiten, um neues Vertrauen aufzubauen und gemeinsam an einem Strang zu ziehen, liebe Kolleginnen und Kollegen?
Städte wie Tübingen, Konstanz oder Freiburg haben ihr Klimaneutralitätsziel vorgezogen, große Unternehmen wie die EnBW, Bosch, Daimler und Porsche haben sich ebenfalls ehrgeizige Ziele zur Erreichung der Klimaneutralität gesetzt. Das Land Baden-Württemberg will 2040 klimaneutral sein. Stuttgart will besser als das Land sein und peilt 2035 als Ziel an.
Als wirtschaftsstarke und prosperierende Stadt können wir uns die Erreichung dieses ambitionierten Ziels trotz der immer noch andauernden Corona-Krise vornehmen. Den Wunsch der Menschen nach Stabilität und Lebensqualität sowie das Unbehagen der Menschen vor Veränderungen dürfen wir dabei aber nicht aus den Augen verlieren. Zudem dürfen wir nicht enttäuscht sein, wenn wir am Ende im Jahr 2035 keine Punktlandung hinbekommen.
Wir sind gerade dabei, uns eine sehr große Aufgabe vorzunehmen, die Ausdauer und Durchhaltevermögen erfordert. Hoffentlich können wir diese Aufgabe gut meistern.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!