22.02.2024

Rede von Stadtrat Konrad Zaiß
Fraktionsvorsitzender Freie Wähler Gemeinderatsfraktion Stuttgart anlässlich der Generaldebatte Klimaschutz im Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart 22. Februar 2024

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren!

Vor bald zwei Jahren haben wir hier im Gemeinderat den Beschluss gefasst, dass Stuttgart bis zum Jahr 2035 klimaneutral werden soll. Schon damals habe ich in meiner Rede betont, dass wir bei Energieeinsparung, Klimaschutz und Klimaanpassung nicht bei null anfangen, aber natürlich noch einen weiten Weg vor uns haben, um das ausgesprochen ambitionierte Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.

Schon vor zwei Jahren war klar, dass es den einen Hebel nicht gibt, mit dem man die Stadt ganz einfach und sofort auf „klimaneutral“ umschalten kann. Es braucht viele verschiedene Akteure und viele verschiedene Maßnahmen:

  • Es braucht Einwohnerinnen und Einwohner, die den Weg zur Klimaneutralität engagiert mitgehen.
  • Es braucht Unternehmen und Immobilieneigentümer, die zu hohen Investitionen bereit sind.
  • Es braucht viele Ingenieure und Techniker, die realistische Pläne vorlegen.
  • Es braucht zahlreiche Baufirmen und Handwerker, die die Energiewende und Maßnahmen zum Klimaschutz umsetzen können.
  • Und es braucht eine Stadt, die das, was in ihrer Hand liegt, in Angriff nimmt, ohne, ich betone, ohne dabei die Menschen zu überfordern oder zu gängeln.

Wenn wir auf die Zeit zurückblicken, die seit unserem Beschluss vergangen ist, dann fehlt es vielleicht an auffälligen Projekten, die im Stadtbild weithin sichtbar sind. Dennoch wird bei der Rückschau deutlich, dass wir einige bedeutende Beschlüsse gefasst haben, die so oder ähnlich vor einigen Jahren kaum denkbar gewesen wären. Zudem gibt es positive Meldungen, an denen man ablesen kann, dass wir bei der Energiewende Fahrt aufnehmen und vorankommen.

  • Wir haben beschlossen, die SSB aus dem Stadthaushalt mit 100 Millionen Euro pro Jahr zu unterstützen, um den klimafreundlichen ÖPNV zu verbessern, weiter auszubauen und damit attraktiver zu machen.
  • Wir haben beschlossen, die Stadtwerke Stuttgart als wesentlichen Akteur bei der Energiewende mit 300 Millionen Euro zu unterstützen.
  • Wir haben beschlossen, die SWSG mit 200 Millionen Euro zu unterstützen, damit sie ihren Gebäudebestand energetisch ertüchtigen und gleichzeitig neue Wohnungen bauen kann.
  • Wir haben das kostenlose 49-Euro-Ticket für alle städtischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeführt, damit ihnen der Umstieg auf den ÖPNV ermöglicht und erleichtert wird.
  • Und wir haben die „Kommunale Wärmeplanung“ beschlossen.

Wir Freie Wähler sind an den genannten Beschlüssen, die nur die wichtigsten Meilensteine darstellen, beteiligt, weil wir ihnen zugestimmt haben und sie mittragen. Gleiches gilt für andere Maßnahmen, die wir in den Beratungen zum Doppelhaushalt 2024/2025 unterstützt haben, wie zum Beispiel die Weiterführung der Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Stadtgrüns im Rahmen des Klimawandelanpassungskonzepts KLIMAKS 2.0 oder die kostenlosen Energieberatungen zur Steigerung der Sanierungsrate, die Förderprogramme "Wärmenetzanschluss", "Solaroffensive", "Beleuchtungssanierung" und "Wärmepumpen" sowie das Heizungsaustauschprogramm.
Das alles muss eine Stadt erst einmal bezahlen können!

Stuttgart hat bisher das große Glück, über die nötigen finanziellen Mittel zu verfügen, um in Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimaanpassung zu investieren. Die Frage ist, wie lange noch?

Wir Freie Wähler sind nach wie vor der Meinung und der festen Überzeugung, dass wir das Geld der Stadt zuerst dort einsetzen müssen, wo wir am meisten damit bewirken können. An erster Stelle muss die Umsetzung der effizientesten Maßnahmen stehen!

Klar ist aber auch, dass die Stadt nicht alles alleine stemmen und beeinflussen kann. Es braucht deshalb die Unterstützung von Land und Bund, wenn wir bei Klimaschutz und Klimaanpassung vorankommen wollen.

Da wir uns im Ausschuss für Klima und Umwelt erst vor wenigen Wochen mit der „Kommunalen Wärmeplanung“ beschäftigt haben und es dazu auch eine öffentliche Veranstaltung gab, möchte ich auch auf diese wichtige Komponente der Energiewende eingehen.

Ob mit Fernwärme oder mit Wärmepumpen, Geothermie oder Flusswasserwärmepumpen, ob mit Abwasserwärmerückgewinnung oder mit Strom – wichtig ist, dass die Bevölkerung mit Wärme versorgt werden kann, die klimaneutral erzeugt wird.

In diesem Zusammenhang lässt ein Artikel aus der Stuttgarter Zeitung vom vergangenen Samstag aufhorchen. Darin wird über Vorkommen von natürlichem Wasserstoff in Lothringen und anderen Gebieten in Europa berichtet, der dort in großen Mengen in der Erde lagert. Diese Nachricht lässt hoffen, dass die Erde für viele Probleme eine Lösung bereithält, die wir aber heute noch nicht kennen.

Wasserstoff ist in seiner künstlichen Herstellung teuer und nicht in großen Mengen für gasbetriebene Heizungen oder Stromerzeugungsanlagen herstell- und bezahlbar, das ist allen bekannt. Sollte jedoch Wasserstoff in natürlichen Vorkommen in ausreichender Menge vorhanden sein, so ergäben sich ganz neue Möglichkeiten. Die Ingenieure und Techniker, die in diesem Bereich tätig sind, finden hoffentlich auch neue Wege und Mittel, diese Bodenschätze zu heben und zu nutzen.

Ich glaube, dass immer wieder neue Entdeckungen und Erkenntnisse bei der Energiewende helfen werden. Wir müssen technologieoffen bleiben, aber trotzdem wachsam und sparsam mit unseren bis jetzt bekannten Energiequellen umgehen.

Zurück zur „Kommunalen Wärmeplanung“: Wie groß die Aufgabe in diesem Bereich ist, zeigen die Aussagen des Amtes für Umweltschutz vom 29. September 2023:

  • Bis 2035 sollen pro Jahr 27 Kilometer Wärmetrasse hinzukommen und 1.500 Flurstücke an ein Wärmenetz angeschlossen werden.
  • In jedem Jahr soll bei 5.500 Flurstücken ein Heizsystemwechsel erfolgen. Aktuell werden pro Jahr ca. 1.000 Zentralheizungen erneuert oder eingebaut.
  • Während heute 150 Wärmepumpen pro Jahr installiert werden, sollen es künftig 3.400 Stück pro Jahr sein. Das ist mehr als das Zwanzigfache!
  • Zudem soll die Gebäudesanierungsrate, also die energetische Optimierung von Gebäudehüllen mit einer Wärmedämmung, drastisch erhöht werden.

Wir Freie Wähler halten die vorliegende Wärmeplanung für eine gute Grundlage, die im Laufe der Zeit fortgeschrieben und nachgeschärft werden muss. Angesichts der ambitionierten Ziele und Vorgaben bleiben dennoch viele Fragen offen, von denen ich einige exemplarisch nennen will:

  • Wie soll ein jährlicher Wärmenetzausbau von 27 Kilometern in Stuttgart realistisch umgesetzt werden? Für solche Großbaustellen braucht es neben den Trägern und Betreibern der Netze, neben dem Geld und den Baufirmen auch die Genehmigungsbehörden, die zum Beispiel verkehrsrechtliche Anordnungen ausstellen müssen.
  • Wie sollen Quartiere, in denen Gasetagenheizungen oder andere kleinteilige Heizsysteme vorherrschen, an Wärmenetze angeschlossen werden?
  • Wer koordiniert die massenhaft erforderlichen Umbaumaßnahmen in den Gebäuden?
  • Wo sind die Ingenieure und Techniker, die den ganzen Wärmeprozess leiten und führen, planen und überwachen können?
  • Haben wir genügend Handwerker, um die Sanierungsrate bei Gebäuden deutlich zu steigern?
  • Sind die vorhandenen Stromleitungen für den erhöhten Bedarf und den erhöhten Durchfluss ausgelegt?
  • Haben die privaten Hauseigentümer ausreichende finanzielle Mittel für Investitionen?

Aus unserer Sicht zeigen diese Fragen noch einmal sehr deutlich, dass die Stadt mit allen Akteuren, die einen Beitrag leisten können, gut zusammenarbeiten muss. Deshalb wiederhole ich hier noch einmal unseren Appell, die EnBW mit ihren Tochterunternehmen als Partner wahrzunehmen, nicht als Gegner.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!