Rede von Stadträtin Rose von
Stein
Fraktionsvorsitzende der Freie Wähler Gemeinderatsfraktion Stuttgart
anlässlich der Beschlussfassung über die Errichtung von Flüchtlingsunterkünften (GRDrs 503/2023) im
Gemeinderat der Landeshauptstadt Stuttgart 27. Juli 2022
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen
und Herren!
Über die vorliegende Gemeinderatsdrucksache 503/2023 zur Errichtung von Flüchtlingsunterkünften in sechs Stadtbezirken haben wir Freie Wähler fraktionsintern sowie mit den Bezirksbeiräten und Mitgliedern der Freien Wähler Stuttgart intensiv diskutiert. Ein einheitliches Meinungsbild kam dabei nicht zustande.
Wir wissen sehr wohl, dass die Landeshauptstadt Stuttgart dazu verpflichtet ist, die ihr zugewiesenen Flüchtlinge aufzunehmen und unterzubringen. Dieser Verpflichtung ist die Stadt bisher immer und auch mit Zustimmung der Freien Wähler nachgekommen.
Selbstverständlich – auch das will ich vorwegschicken – ist es nicht unser Ziel, den Bau von Unterkünften für Flüchtlinge komplett zu verhindern und stattdessen Sport- oder Turn- und Versammlungshallen zu belegen.
Was es uns trotzdem schwer macht, den bisher beschrittenen Weg – trotz Verpflichtung zur Aufnahme – mitzugehen, sind folgende Punkte:
Ganz grundsätzlich ist aus unserer Sicht zu kritisieren, dass die Kommunen bei der Flüchtlingspolitik und bei der Flüchtlingsunterbringung nahezu keinen Entscheidungsspielraum haben und auf übergeordneter politischer Ebene zu wenig Gehör finden.
Obwohl die Stadtverwaltung ganz genau weiß, wie sensibel das Thema Flüchtlingsunterbringung zu behandeln ist, hat sie es einmal mehr nicht geschafft, ihre Ideen und Vorschläge frühzeitig und transparent zu kommunizieren.
Dass die Informationen, die der Gemeinderatsdrucksache vom 6. Juli 2023 zugrunde liegen, bereits früher zur Verfügung standen, zeigen die Anlagen, die der Vorlage beigefügt sind: Die Präsentation der SWSG trägt das Datum 25. Mai 2023, der Plan für die Unterkunft an der Wolframstraße das Datum 16. Mai 2023 und der Plan für die Unterkunft an der Leobener Straße sogar das Datum 25. Mai 2022. Eine Vorabinformation der kommunalpolitischen Gremien wie auch der Bevölkerung wäre also durchaus möglich gewesen.
Es ist nicht in Ordnung eine solche Vorlage ganz ohne Vorlauf in knapp drei Wochen durch sechs Bezirksbeiräte, drei beschließende Ausschüsse und den Gemeinderat zu jagen. Die Suche nach und die Einbringung von möglichen Alternativstandorten scheitert für uns Freie Wähler schon allein an diesem engen zeitlichen Korsett.
Wir verstehen auch nicht, was die Stadtverwaltung dazu veranlasst, überhastet ein größeres Paket zu schnüren, anstatt die einzelnen Unterkünfte – je nach Planungsstand – peu à peu und in aller Ruhe in die Beratung zu bringen.
Wir wissen, dass die Suche nach Standorten für temporäre oder dauerhafte Flüchtlingsunterkünfte immer schwieriger wird. An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass der Stuttgarter Weg, der eine gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge übers gesamte Stadtgebiet und alle Stadtbezirke vorsieht, nicht eingehalten ist.
Während die Aufnahmequote des kleinen Stadtbezirks Münster bei 3,56 Prozent und 234 Plätzen liegt, kommt der große Stadtbezirk Stuttgart-West gerade einmal auf 0,10 Prozent und 53 Plätze. Der ebenfalls große Stadtbezirk Vaihingen kommt auf 0,18 Prozent und 85 Plätze, während das etwas kleinere Zuffenhausen schon jetzt eine Quote von 2,42 Prozent und 928 Plätze aufweist.
Noch viel schwerer wiegt für uns aber, dass unser Aufnahme- und Betreuungssystem schon seit Längerem am Rande seiner Kapazitäten ist. Die räumliche Unterbringung der Geflüchteten ist dabei nur ein Aspekt. Kapazitätsprobleme gibt es in allen Bereichen, sei es bei der Kinderbetreuung, in den Schulen oder Berufsschulen, bei den Hausärzten und Therapeuten oder bei den städtischen Ämtern und Behörden, die dem Andrang nicht Herr werden.
Wie kürzlich im Jugendhilfeausschuss berichtet wurde, sollen allein zur Unterbringung und Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen rund 50 zusätzliche Stellen geschaffen werden. Zudem sollen 13 neue Spielstuben eingerichtet werden, weil Plätze in den Kitas fehlen.
Hinzu kommen Probleme bei der Integration, die sich immer wieder schlaglichtartig zeigen, weil manche – nicht alle ! – der Geflüchteten und Migranten weder dazu bereit sind, sich an unsere Regeln und Gepflogenheiten zu halten, noch unsere Werte achten und teilen.
Für uns Freie Wähler ist es befremdlich, wenn einige Fraktionen hier im Gemeinderat und manche Akteure in der Flüchtlingsbetreuung diese Probleme und Herausforderungen nicht sehen, oder, schlimmer noch, nicht sehen wollen.
Wir unterstützen daher das Plädoyer des Oberbürgermeisters und der kommunalen Landesverbände für eine realitätsbezogene Flüchtlingspolitik und appellieren an die Landes-, Bundes- und Europapolitik, sich dafür einzusetzen, die Lasten innerhalb der EU gleichmäßig zu verteilen und für klare Spielregeln und deren Einhaltung zu sorgen.
Wir in Deutschland, in Baden-Württemberg und in Stuttgart können beim besten Willen nicht alle aufnehmen, die zu uns wollen. Es gibt Grenzen der Aufnahmefähigkeit, zumal wir es seit Mitte der 2010er- Jahre mit einer Dauerbelastung für Staat und Gesellschaft zu tun haben, bei der sich weiterhin keine Entspannung abzeichnet.
Aus humanitären Gründen mag ein „Immer-weiter-so“ ja irgendwie nachvollziehbar sein, unter innenpolitischen Gesichtspunkten ist es das aber ganz und gar nicht!
Für die nun folgende Beschlussfassung beantragen wir die Abstimmung über jeden einzelnen Standort, weil wir den Standorten, die wir für möglich und verträglich erachten, zustimmen werden, nicht aber der gesamten Vorlage.