Rede von Stadtrat
Konrad Zaiß
Fraktionsvorsitzender der Freie Wähler Gemeinderatsfraktion Stuttgart
anlässlich der Beschlussfassung über das Klimaneutralitätsziel 2035 im Gemeinderat der Landeshauptstadt
Stuttgart 27. Juli 2022
- es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister,
sehr geehrte Bürgermeisterinnen und Bürgermeister,
liebe
Kolleginnen und Kollegen,
meine sehr geehrten Damen und Herren!
Als wir am 20. Januar diesen Jahres am Ende unserer Generaldebatte zum Klimaschutz und zum Klimaneutralitätsziel die Verwaltung damit beauftragt haben, bis zum Sommer 2022 einen Klima-Fahrplan vorzulegen, war die Welt noch eine andere. Nur gut einen Monat später, am 24. Februar, überfiel Russland die Ukraine.
Der barbarische Krieg, der leider bis zum heutigen Tag anhält, hat sehr viel verändert. Auch wir in Deutschland bekommen seine drastischen Auswirkungen zu spüren.
So müssen wir unter anderem konstatieren, dass Gaslieferungen aus Russland unsicher sind. Dabei hatten wir in den vergangenen Jahren zumindest übergangsweise darauf gesetzt, alte Heizungsanlagen auszutauschen und diese durch Gasheizungen oder gasbetriebene Blockheizkraftwerke zu ersetzen, um von den deutlich klimaschädlicheren Energieträgern Kohle und Öl wegzukommen.
Mit Blick auf den nächsten Winter stellt uns die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, insbesondere die Abhängigkeit von Erdgas vor große Herausforderungen. Gleichzeitig erleben wir aktuell einen Sommer, der uns mit hohen Temperaturen, mit Trockenheit und mit zahlreichen Wald- oder Vegetationsbränden vor Augen führt, dass sich das Klima verändert.
Die aktuelle Situation mahnt uns, unabhängig von fossilen Energieträgern und von anderen Staaten zu werden. Zudem sollten wir mehr in den Klimaschutz und in die Anpassung an die Klimafolgen investieren.
Genau vor diesem Hintergrund wollen wir heute das in unseren Augen sehr ambitionierte Ziel beschließen, Stuttgart bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu machen. Um es deutlich und klar zu sagen: Dieses Ziel gilt nicht nur für die Stadt als Konzern mit allen Ämtern, Eigenbetrieben, Tochter- und Beteiligungsunternehmen, sondern für ganz Stuttgart mit allen Einwohnerinnen und Einwohnern, allen Gebäuden, allen Unternehmen und allen Institutionen. Es handelt sich also um eine gewaltige gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht einfach nur an die Stadtverwaltung delegiert werden kann. Alle müssen mitziehen so gut sie können!
Angesichts der Dimension dieser Aufgabe sind wir Freie Wähler nach wie vor skeptisch, ob es gelingen wird, das hochgesteckte Ziel zu erreichen. Hinweisen möchte ich an dieser Stelle aber auch darauf, dass wir nicht bei null anfangen, wie manche immer meinen. Viele Immobilieneigentümer, Wohnungsbaugenossenschaften und Wohnbauträger, Einwohnerinnen und Einwohner, Unternehmen, Gewerbetreibende und Institutionen leisten schon seit Jahren gute Beiträge beim Ausbau der erneuerbaren Energien, bei der Energieeinsparung und beim Klimaschutz.
Wir sagen deshalb herzlichen Dank an alle, die aktiv wurden und schon vor Jahren eine Wärmedämmung an ihrem Haus haben anbringen lassen, die ihre Heizung ausgetauscht haben oder sich eine Solaranlage aufs Dach montieren ließen. Auch denen, die effizientere Hausgeräte angeschafft haben, auf LED-Leuchten umgestiegen sind oder ein Elektroauto fahren, sagen wir für ihre Bemühungen Danke.
Dass wir unsere Bemühungen verstärken müssen, zeigt das eingangs gesagte. Hierfür bietet die Neufassung der Vorlage 397/2022 des Oberbürgermeisters eine aus unserer Sicht gute Grundlage. Die Vorlage und die darin genannten Punkte finden unsere Zustimmung.
Besonders wichtig scheint uns Freien Wählern, dass wir noch mehr ins Tun kommen und das viele Geld, das die Stadt in die Hand nehmen will, dort einsetzen, wo wir am meisten damit bewirken können. Bei der Auswahl der Maßnahmen, die wir umsetzen, müssen deshalb die effizientesten Maßnahmen an erster Stelle stehen!
Vieles wird davon abhängen, ob wir bei der Stadt und auch bei den Stadtwerken genügend Personal finden, um die anstehenden Aufgaben zu erledigen. Noch entscheidender wird aber sein, ob wir genügend Ingenieure und vor allem Handwerker haben und finden, die die nötigen Maßnahmen in der Breite umsetzen können.
Deshalb ist es sehr gut und extrem wichtig, dass die Stadtverwaltung, zusammen mit dem Stuttgarter Handwerk neue Konzepte zur verstärkten Gewinnung von Nachwuchs in den klimarelevanten Handwerksberufen entwickeln will.
Gerade den jungen Leuten, die bei Fridays For Future auf die Straße gehen, will ich eine Ausbildung im Handwerk ans Herz legen. Ihnen rufe ich zu: Werden Sie Teil der Praktiker, die den Klimaschutz in die Tat umsetzen, werden Sie KlimAzubi!
Ein weiterer wichtiger Punkt ist es, die Bevölkerung auf dem Weg zur Klimaneutralität mitzunehmen und sie nicht zu überfordern. Darauf, dass die Maßnahmen, die wir ergreifen, auf jeden Fall sozial gerecht und nachvollziehbar sein müssen, habe ich bereits im Januar hingewiesen.
Damals habe ich auch zu bedenken gegeben, dass nicht jeder, der ein Haus sein Eigen nennt, das Geld hat oder einen Kredit bekommt, um es energetisch auf den neuesten Stand zu bringen. Das wiederhole ich deshalb noch einmal, weil hier im Rat mitunter die Meinung kursiert, Immobilieneigentümer hätten quasi Geld ohne Ende.
Ein letzter Punkt, der mir auch noch einmal wichtig ist, ist das Verhältnis zwischen Stadt und EnBW.
Die Stadt muss mit allen Akteuren, die zum Gelingen von Energiewende und Klimaschutz beitragen, gut zusammenarbeiten. Es nützt überhaupt nichts, wenn sich Stadt und EnBW – also öffentliche Hand gegen öffentliche Hand – vor Gericht zum Beispiel um das Fernwärmenetz streiten. Wir Freie Wähler sind uns sicher, dass der Ausbau des Fernwärmenetzes auch deshalb nicht vorankommt, weil es diesen lähmenden Streit gibt.
Die EnBW betreibt und kennt dieses Netz. Warum überlassen wir es nicht der EnBW, das Netz – gegebenenfalls mit Unterstützung der Stadt – auszubauen?
Trotz der großen Herausforderungen können wir uns das Klimaneutralitätsziel 2035 vornehmen und es heute beschließen. Für die Vorarbeit der Stadtverwaltung und für den intensiven Austausch der letzten Tage danken wir.
Vor dem Hintergrund der seit Ende Februar deutlich veränderten Lage im Energiesektor müssen wir bei der Energiewende schneller vorankommen. Wir werden auch weiterhin Strom und Wärme brauchen. Deshalb müssen wir den Ausbau der erneuerbaren Energien forcieren. Die 100 Millionen Euro, die wir dafür in die Hand nehmen wollen, sind gut angelegtes Geld.
Was wir bei alldem aber nicht aus den Augen verlieren dürfen, ist die Sehnsucht der Menschen nach Stabilität und hoher Lebensqualität. Viele Menschen scheuen sich vor Neuerungen und Veränderungen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!