Stuttgart 21 – Die städtebauliche Jahrhundertchance.


Antrag vom 19.05.2017

In einem Wettbewerb die für die Zukunft passende städtebauliche Idee für Stuttgart und den architektonischen Auftakt am neuen Hauptbahnhof finden.

Stuttgart 21 hat wie kaum ein anderes Großprojekt in Deutschland eine jahrzehntelange Planungs- und Beratungsphase erlebt, bevor mit der baulichen Umsetzung des neuen Bahnverkehrsknotens begonnen wurde. Eine ebenfalls mehrere Jahre umfassende Bauzeit schließt sich dem Baubeginn noch bis ins Jahr 2021 an. Stuttgart bekommt einen modernen
Hauptbahnhof und eine zukunftsfähige Infrastruktur für den öffentlichen Fern-, Regional- und Nahverkehr, verbunden mit dringend notwendigen deutlichen Angebotsverbesserungen.

Dass auch noch während der Bauzeit des Projekts Optimierungen für die Infrastruktur erreicht werden konnten – siehe Flughafenbahnhof oder Regionalhalt Vaihingen – macht es noch zukunftsfähiger.

Aus Stuttgarter Sicht ist neben der verkehrlichen Verbesserung vor allem die städtebauliche Möglichkeit, große Entwicklungsflächen innerhalb des Talkessels zu gewinnen, eine der herausragenden positiven Faktoren des Projekts Stuttgart 21. Die Stadt gewinnt ohne Versiegelung von Grünflächen neue Wohn- und Arbeitsquartiere und dazu noch eine deutliche Vergrößerung des Parks mitten im Herzen von Stuttgart. Neue Wohngebiete können in fließendem Übergang direkt an die erweiterten Parkflächen angrenzen. Die aktuell abgeschlossene Bürgerbeteiligung „Rosenstein“ zeigt ganz deutlich, dass gerade diese öffentlichen Freiflächen und deren Entwicklung und Gestaltung unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern am Herzen liegen. So wurde z.B. das Thema Schaffung von Wasserflächen in der Bürgerbeteiligung als wichtiges Thema herausgearbeitet.

Nun gilt es, in den nächsten Jahren die städtebauliche Umsetzung zu planen und durch die Schaffung von Planrecht die Möglichkeit der Bebauung nach Freiräumung der Gleisflächen sicherzustellen. Uns ist es besonders wichtig, dass die zu entwickelnden Stadtflächen nicht durch mehr als die heute geplante Schieneninfrastruktur beeinträchtigt oder reduziert
werden, z.B. durch eine immer wieder ins Spiel gebrachte Stichstrecke von der S-Bahnhaltestelle Mittnachtstraße zum Hauptbahnhof. Eine Ausnahme davon ist die Panoramastrecke der Gäubahn. Wir sprechen uns für den Erhalt der Option aus, dass hier weiter Schienenverkehr zum Beispiel zwischen Vaihingen und Feuerbach stattfinden kann.

Bis heute ist die städtebauliche Grundlage für das Rosensteinquartier der Entwurf von Pesch & Partner, Architektur und Stadtplanung Stuttgart in Arbeitsgemeinschaft mit Prof. Henri Bava, Landschaftsarchitekt Karlsruhe. Dieser Entwurf wurde im Realisierungswettbewerb 2005 als erster Preis ausgewählt. Einige zentrale Rahmenbedingungen haben sich seit dieser Zeit nicht verändert. So wollen wir z.B. selbstverständlich weiterhin auf den neuen Flächen sowohl Wohnen als auch Arbeitsplätze ermöglichen. –Das Ziel sind gemischt genutzte Quartiere in der Tradition der Stuttgarter Gründerzeitviertel wie z.B. im Westen unserer Stadt. Gleichzeitig sollen auch weiterhin der Schlossgarten und der Rosensteinpark deutlich erweitert werden.

Zwischenzeitlich sind aber 12 Jahre vergangen und manche damalige Vorgaben und daraus resultierende Ideen in den Wettbewerbsarbeiten können heute nicht mehr unverändert gelten. Die bisherige städtebauliche Idee, die für die nächsten 100 Jahre Stuttgart prägen wird, sollte nicht bereits zu Beginn der Umsetzung rund 20 Jahre alt
sein.

Wichtige Rahmenbedingungen haben sich geändert. Der Anspruch der Bürger an öffentliche Räume ist deutlich gewachsen, Mobilität und dazugehörige Verkehrsinfrastruktur haben eine große Wandlung erlebt. Die Verbindung von Wohnen und Arbeiten ist noch mehr im Fokus.

Eventuell eröffnet uns auch das neue Baurecht mit dem „Urbanen Gebiet“ neue Möglichkeiten.

Wir erleben auch eine neue Stärkung des geförderten Wohnungsbaus, die Architektur hat sich weiter entwickelt und nicht zuletzt befinden wir uns in Vorfreude auf eine Internationale Bauausstellung (IBA) und wir haben aktuell in einem großen Prozess die Bürger nach ihren Vorstellungen von den neuen Stadtquartieren befragt und viele und gute Antworten erhalten.

Städtebaulicher Wettbewerb

Diese beispielhaft genannten Veränderungen in 20 Jahren führen uns zur Überzeugung, dass wir, bevor wir nun in die Entwicklung einzelner Teile der S21 Entwicklungsflächen eintreten, nochmals in einem großen, international und renommiert besetzten städtebaulichen Ideenwettbewerb die Antwort des Jahres 2018 und für die darauffolgenden Jahrzehnte auf die Stadtentwicklung im Herzen Stuttgarts suchen und finden sollten.

Selbstverständlich gibt es für einen solchen Wettbewerb auch zahlreiche Vorgaben, die nicht zu verändern sind. Das Europaviertel als Nachbar, der neue Bahnhof mit seiner Infrastruktur, aber auch die zwischenzeitlich beschlossenen und zum Teil schon umgesetzten Projekte, wie die weitere Nutzung der Wagenhallen; und die Neubauten der beiden Schulen in deren direkter Nachbarschaft sollen hier beispielhaft genannt werden.

Eine aus unserer Sicht ebenfalls klare Vorgabe an einen neuen Wettbewerb, aber auch als Auftrag an die Stadtverwaltung ist, das Gebäude des ehemaligen Paketpostamtes durch die Stadt zu erwerben und abzureißen, um hier keinen Fremdkörper in der städtebaulichen Entwicklung zu haben. Damit schließen sich auch temporäre Nutzungen des Gebäudes über den Zeithorizont der Aufsiedlung der Flächen aus.

Aber zahlreiche offene Fragen und Diskussionen der letzten Jahre könnten eine entsprechende Bearbeitung in einem solchen Wettbewerb erfahren. Wie sollte sich die Geländemodellierung zwischen dem Stuttgarter Norden und Osten darstellen, welche der historischen Bauwerke wie z.B. Überwerfungsbauwerk sollten erhalten bleiben und wenn ja,
mit welcher Nutzung? Und natürlich müsste auch die Frage der Größe der zu bebauenden Flächen im Verhältnis zu möglichen Gebäudehöhen und der sich daraus ergebenden Grünoder Wasserflächen in einem solchen Wettbewerb Antworten finden.

Architekturwettbewerb

Darüber hinaus müsste in einem zweiten internationalen Architekturwettbewerb bereits ein konkreter architektonischer Entwurf für die Bebauung der Fläche A3 und eventuell Teilgebiete von A2 am Straßburger Platz, genau gegenüber dem Bonatz-Bau des Bahnhofs, entwickelt werden. Aktuell gibt es im Gemeinderat und der Stadtverwaltung Diskussionen darüber, ob an dieser zukünftig prominenten Stelle der Stadt ein Gebäudekomplex für ein Kultur- und Kongresszentrum, eine Philharmonie oder das Lindenmuseum entstehen soll. In jedem Fall sehen wir hier ein Gebäude bzw. eine Architektur, die als „Landmark“ ein neues Wahrzeichen Stuttgarts bzw. Deutschlands werden sollte. Auf Grund der baulichen Situation an der Stelle im Untergrund, muss diese Entscheidung und daraus resultierend eine entsprechende Planung zeitnah erfolgen.

Zwei solche Wettbewerbe mit internationaler Beachtung könnten damit auch ein angemessener Auftakt zur IBA 2027 sein.

Aus diesen Gründen beantragen wir wegen der Wichtigkeit der Entscheidung für die Zukunft unserer Stadt:

1.) Im Juli 2017 wird dieser Antrag als Schwerpunkt einer Sitzung des Ausschuss für Umwelt und Technik auf die Tagesordnung gesetzt.
2.) Der Oberbürgermeister legt in dieser Sitzung einen ersten Entwurf für die Eckpunkte zweier solcher Wettbewerbe für die Flächen A2, A3, B, C1 und C2 sowie einen groben Zeitplan sowie eine grobe Kostenschätzung vor.
3.) Im Anschluss an diese Ausschusssitzung soll die finale Entscheidung zu diesen Wettbewerben in einer Gemeinderatssitzung noch vor der Sommerpause dieses Jahres fallen.
4.) Die Verwaltung bereitet dem Gemeinderat eine Diskussions- und Entscheidungsgrundlage für die Frage vor, welche Bebauung auf der Fläche A3 (und eventuell Teile von A2) realisiert werden soll. Hierbei sind die Alternativen Lindenmuseum, Philharmonie und Kultur- und Kongresszentrum darzustellen. Die Entscheidung im Gemeinderat muss so rechtzeitig erfolgen, dass die Ausschreibung des betreffenden Wettbewerbs darauf aufbauend gefasst werden kann.